An der FH Aachen studieren – und gleichzeitig am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT eine Ausbildung machen: Das klingt nach ziemlich viel Aufwand. Aber Leo Sontag, 20, und Sebastian Schönleben, 19, finden: Die Anstrengung lohnt sich. Denn wer dual studiert, hat nach drei Jahren gleich zwei Abschlüsse in der Tasche. Den Bachelor und das Ausbildungszertifikat.
Erklärt doch mal, was ihr studiert. Das klingt alles ein bisschen kompliziert...
Sebastian: Das Ganze nennt sich Angewandte Mathematik und Informatik und ist ein Studiengang der RWTH Aachen, den es nur in dualer Form gibt. Innerhalb von drei Jahren machen wir den Bachelor und eine Ausbildung zum Mathematisch-technischen Softwareentwickler (MATSE). Die Inhalte sind direkt ineinander verwoben.
Ist das eine Art Doppelstudium?
Sebastian: Das würde ich nicht sagen. Wir gehen nicht so weit rein in die Informatik, und wir gehen nicht so weit rein in Mathematik. Das Studium ist eher in der Schnittmenge von Mathematik und Informatik angesiedelt.
Leo: Die Idee ist, das mathematische Verständnis für Anwendungen in der Informatik zu entwickeln. Zum Beispiel bei der komplexen Simulation. Programmieren kann das ein Informatiker, aber um es zu verstehen, braucht man Mathematik. Anders als im reinen Mathestudium sind die Hausübungen hier Rechenaufgaben, keine Beweisführungen. Also ein Schema, dem man durch reines Lernen folgen kann. Mir persönlich wären allerdings Hausübungen lieber, bei denen man knobeln muss.
Und das Duale: Wie funktioniert das ganz praktisch?
Sebastian: Wir sind zwei bis drei Tage pro Woche an der Uni und den Rest der Woche am IPT. In der vorlesungsfreien Zeit haben wir keinen Urlaub, sondern arbeiten die ganze Woche am Institut.
Heißt das: Ihr arbeitet doppelt so viel wie normale Student*innen?
Sebastian: Es ist deutlich anspruchsvoller. Man hat eine Vierzigstundenwoche, aber Hausaufgaben und Lernen kommen dazu. Weil es viele Überschneidungen gibt, haben wir zwar nicht die doppelte Arbeit. Aber wir leisten Einiges an Mehraufwand.
Und warum habt ihr euch für diesen Mehraufwand entschieden?
Sebastian: In der Schule hat man ja nur blanke Theorie, darauf hatte ich einfach keine Lust mehr. Im dualen Studium wird man praktisch ausgebildet, macht aber trotzdem den Bachelor und anschließend vielleicht den Master. Und nebenbei gibt es noch Gehalt. Und als Student von Anfang an Geld zu verdienen, ist ja nicht das Schlimmste...
Leo: Ich hab ein Semester Mathematik an der TU Darmstadt studiert und dabei gemerkt, dass es mir nicht gut tut, keinen Druck zu haben. Ich wusste: Ich kann mehr, und war sehr unzufrieden. Darum hab ich bewusst nach einem Dualen Studium gesucht. Hier herrscht Anwesenheitspflicht, die Hausaufgaben werden überprüft. Andere finden blöd, dass wir so viel kontrolliert werden, für mich ist es perfekt.
Ein duales Studium ist also gut für Leute, die viel Potenzial haben, aber äußere Struktur brauchen.
Leo: In meinem Fall, ja. Sebastian ist das komplette Gegenteil.
Sebastian: Schon. Aber natürlich arbeitet man mehr, wenn man von außen Druck hat. Das ist auch bei mir so. In einem normalen Studium hätte ich nie so viel geleistet wie jetzt.
Und warum habt ihr euch für Fraunhofer entschieden?
Sebastian: Weil hier die Bandbreite an Ebenen und Themen wahnsinnig groß ist. Das finde ich gut, man will sich ja im Bachelor noch nicht auf eine Sache spezialisieren.
Leo: Für mich war Fraunhofer meine Nummer 1. Der perfekte Mittelweg, weil ich sehr viel Interesse habe an der Industrie, aber auch am forschenden Ansatz, wo man Ideen ausprobieren und versuchen kann, neue Wege zu gehen. Man kann mitgestalten, was man lernt, mein Ausbilder ist super offen. Trotzdem möchte ich nach dem Bachelor ein Jahr Praktika in unterschiedlichen Firmen machen. Das geht nicht während eines dualen Studiums.
Wem würdet ihr zu einem dualen Studium raten?
Sebastian: Eigentlich jedem, der Informatik studieren will. Weil es in der Informatik wesentlicher Teil des Ganzen ist, praktisch zu arbeiten. Das lernt man im Studium nicht. Man muss allerdings mindestens durchschnittliche Leistungsbereitschaft zeigen.
Habt ihr trotzdem genug Freizeit?
Sebastian: Nicht in der Klausurenphase. Aber man merkt schon, dass man weniger Freizeit hat als andere.
Leo: Ich hab am Anfang mit zwei Mädels in einer WG gewohnt, die normal studiert haben. Das hat überhaupt nicht funktioniert. Der Lebensstil von jemandem, der dual studiert, ist nicht der eines Studenten, sondern eindeutig der eines Arbeitnehmers. Am Mittwochabend auf eine Party gehen bis drei Uhr früh: Das geht nicht, wenn man am nächsten Tag im Institut sein muss. Deswegen war ich schnell wieder aus der Wohnung raus.
Kommt euch das frühe Aufstehen entgegen?
Sebastian: Gar nicht. Ich bin eine deutliche Nachteule. Aber man muss nur schaffen, irgendwie um acht Uhr in der Uni zu sitzen. Am IPT müssen wir uns spätestens um zehn Uhr wegen der Kernzeit eingestempelt haben.
Leo: Ich kämpfe zwar mit dem Frühaufstehen. Aber ein richtiges Problem ist das nicht. Und Aachen ist so klein, selbst wenn alle Busse ausfallen, kann man noch zur Arbeit joggen.
Seid ihr Exoten, als dual Studierende?
Sebastian: In unserem Umfeld nicht, alle Kommilitonen sind ja in der gleichen Situation.
Und wie ist der ständige Wechsel zwischen Uni und Job?
Sebastian: Das kann nervig sein. Man arbeitet sich am IPT an ein Projekt heran – und dann ist man wieder an der Uni mit unterschiedlichen Themen, Hausaufgaben und Nachlernen beschäftigt. All das gleichzeitig zu managen ist anstrengend. Es gibt Leute, die sich regelrecht auf die vorlesungsfreie Zeit freuen. Nicht, weil man da frei hätte. Sondern weil man sich dann auf die Arbeit fokussieren kann.
Leo: Mir ist der Wechsel fast lieber als Blockkurse. Blöd finde ich nur, dass ich keinen ordentlichen Urlaub machen kann. Wir haben zwar dreißig Urlaubstage, können die aber nicht während des Semesters nehmen. Und in der vorlesungsfreien Zeit hat man oft Wahlfächer, die erst spät feststehen. Darum kann man nicht frühzeitig planen. Urlaubstechnisch ist man schlechter dran als der normale Arbeitnehmer.
Ihr habt gerade das zweite Semester beendet. Hat euch Corona die vergangenen Monate verhagelt?
Leo: Wir können sowieso alles digital machen. Ich stelle allerdings gern Fragen während einer Vorlesung, an der TU geht das gut, die Professoren sind hier keine fernen Götter. Das fehlt mir jetzt. Außerdem bin ich ein Menschenmensch. Ich vermisse es, mit Leuten zusammen zu sitzen. Aber im Homeoffice bin ich effizienter.
Sebastian: Homeoffice ist für mich nur für zwei Tage okay, danach wird es unerträglich. Mit den Vorlesungen komme ich gut zurecht, weil ich das Tempo selbst bestimmen und vor- und zurückspulen kann. Die Übungen haben für mich nicht funktioniert. Und in meinem Einzimmerappartement kann ich mich einfach nicht konzentrieren. Und auch nicht entspannen. Darum sitze ich immer, wenn ein Zimmer frei ist, im IPT.