AWK‘23: Aufbruchstimmung in eine wertsteigernde Kreislaufwirtschaft
Lösungsansätze für eine wertsteigernde Kreislaufwirtschaft, die Unternehmen darin unterstützt, den weltweiten Emissions- und Klimazielen zu entsprechen: Mehr als 1200 Fach- und Führungskräfte aus rund 360 Unternehmen waren dem Aufruf des Werkzeugmaschinenlabors WZL der RWTH Aachen und des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie IPT zum 31. AWK in den Aachener Eurogress gefolgt. Ziel der zweitägigen Konferenz war es, voneinander zu lernen und darüber zu diskutieren, wie die produzierende Industrie ihre Produkte langlebiger und ihre Geschäftsmodelle unabhängiger von globalen Unwägbarkeiten machen kann.
»It’s too late to be pessimistic.« – mit diesen Worten schloss Dr. Marie Jaroni, Head of Decarbonization bei der Thyssenkrupp Steel Europe AG, ihren Vortrag über die Transformation der deutschen Stahlindustrie. Ebenso optimistisch und anpackend zeigten sich auch die übrigen Referentinnen und Referenten der deutschen Industrie und Wissenschaft vor Ort in Aachen: risikobewusst und gleichzeitig Willens, die Verantwortung in ihrem jeweiligen Arbeitsgebiet aufzunehmen und zu tragen. Das Leitthema des AWK’23 – Empower Green Production – spannte den Rahmen, mit dem die Aachener Forscherinnen und Forscher um das Professorenteam Robert Schmitt, Thomas Bergs, Christan Brecher und Günther Schuh die Industrie bei der dringend notwendigen Wende hin zu einer wertsteigernden Kreislaufwirtschaft unterstützen wollen.
WZL und Fraunhofer IPT als Veranstalter betonten besonders die Chancen, die – gerade bei komplexen Produkten – regelmäßige Produkt-Updates bieten können. So zeigten die Forschenden am Beispiel eines Aluminium-Profil-Chassis für Elektrofahrzeuge, wie sich nicht nur Reparaturen, sondern auch Designänderungen und gänzlich neue technische Funktionalitäten durch modulare Produkte im Rahmen von Refurbishment und Re-Assembly umsetzen lassen. Alte Produktgenerationen werden durch funktions- und wertsteigernde Maßnahmen für einen nächsten Produktlebenszyklus vorbereitet.
Der vorgestellte Ansatz basiert auf einer speziell dafür vorgesehenen Produktstruktur, die die neue Modularität berücksichtigt. Aber auch neue Prozesse sind für das Re-Assembly in der Fabrik und bereits bei der Herstellung von Betriebsmitteln erforderlich: Digitale Produkt- und Werkzeugakten, die sämtliche Informationen über den Zustand von Produkt und Werkzeugen zu jedem Zeitpunkt bereithalten und im Idealfall sogar Kundenwünsche berücksichtigen, werden damit zu den Befähigern der zirkulären Wertschöpfung und bilden die »Meta-World« im Internet of Sustainable Production.
Digitalisierung als Befähiger einer nachhaltigen und resilienten Produktion
Die drei Co-Hosts Ericsson, Hexagon AB und Siemens AG bestärkten die Notwendigkeit neuer Technologien und Produktionsansätze in ihren Keynote-Vorträgen und stellten ihre eigenen Beiträge zum Konzept der digitalisierten Produktion vor, die als zentraler Befähiger einer nachhaltigeren und resilienteren Industrie wirken soll:
Nachhaltigkeit beginne schon bei der Datenerhebung und -haltung, für die jedoch eine flächendeckende und dabei drahtlose Konnektivität die Grundvoraussetzung sei. Die 5G-Mobilfunktechnologie bietet mit niedrigen Energieverbräuchen und gleichzeitig hoher Leistungsfähigkeit die Chance, den »Wendepunkt des Energieverbrauchs« zu erreichen und damit die Industrietransformation deutlich zu beschleunigen, so die zentrale Aussage von Joe Wilke, Vice President und Head of Center of Excellence 5G Industry 4.0 bei Ericsson.
Ziel sei es, mit neuen Technologien einen Feedback-Loop zwischen der realen und der digitalen Welt zu schaffen, bestätigte auch Paolo Guglielmini, Präsident und CEO von Hexagon AB in seiner Keynote. In zahlreichen Feldern der Digitalisierung arbeite das Unternehmen gemeinsam mit Partnern daran, mittels Datenanalysen, Edge Computing, Künstlicher Intelligenz und Automatisierungstechnologien die noch bestehenden Lücken zwischen Design, Produktion und Produktnutzung zu schließen.
Wie das »Industrial Metaverse« schließlich zum Katalysator für die nachhaltige Produktion wird, fasste Dr. Annika Hauptvogel, Head of Technology & Innovation Management bei der Siemens AG, zusammen. Am Beispiel der eigenen Werke in Erlangen und Nanjing/China demonstrierte das Unternehmen, wie sich nicht nur bestehende Produktionsumgebungen hinsichtlich Nachhaltigkeitskriterien deutlich verbessern, sondern völlig neue bereits vorab digital so optimieren lassen, dass enorme Einsparungen bei Emissionen, Flexibilität und Produktivität gleichermaßen möglich werden. Das industrielle Metaverse umfasst den gesamten Produktlebenszyklus; Siemens erreicht in einzelnen Use Cases bereits bis zu 50 Prozent Material- und bis zu 40 Prozent Energieeinsparung.
Standardisierung und Upgrades liefern den Schlüssel zu neuen, nachhaltigeren Geschäftsmodellen
Zahlreiche weitere Vorträge und Diskussionspanels lieferten Beispiele und Anregungen dafür, wie in konkreten Anwendungsfällen nachhaltige Produkte und Prozesse geschaffen werden können. Auch die durchaus berechtigte Frage, wie die Geschäftsmodelle sich verändern müssen, wenn nicht das Neuprodukt, sondern eine überarbeitete Version des Produkts Gewinne abwerfen solle, konnten die Veranstalter schlüssig beantworten: Durch eine standardisierte Produktarchitektur, die durch regelmäßige Upgrades stets auf einem aktuellen Stand gehalten werde, ließe sich mit geringen Reproduktionsaufwänden über längere Zeiträume sogar mehr Umsatz als bisher erzielen, argumentierte Professor Günther Schuh, Mitglied des Direktoriums von WZL und Fraunhofer IPT. Während der anschließenden Institutsbesichtigungen am Campus der RWTH Aachen konnten die Konferenzbesucher bereits die neue »Upgrade Re-Assembly Factory« besichtigen, in der schon an der Standardisierung beispielhafter Automobilkomponenten gearbeitet wird.
AWK’23: Hybrider Informations-Hub für die Trends der Produktionstechnik
Das Aachener Werkzeugmaschinen-Kolloquium ist Netzwerktreffen und Informations-Hub zugleich. Teilnehmerinnen und Teilnehmer unterschiedlicher Disziplinen tauschen sich traditionell alle drei Jahre in Aachen über die Produktion von morgen aus.
In zwei mal zwei parallelen Vortragssessions konnten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus erster Hand über die Ergebnisse angewandter Forschung und die praktische Umsetzung in der Produktion informieren. Die vier Sessions umfassten jeweils mehrere Vorträge zu leistungsfähigen, jederzeit verfügbaren und resilienten Dateninfrastrukturen, zu Technologien und Prozessen für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft, zu Modellbildung und Analysen mit dem Ziel einer ressourcenschonenderen Fertigung sowie zu Szenarien und Geschäftsmodellen für eine nachhaltige Wertschöpfung.
Parallel zur Präsenzveranstaltung der 31. AWK im Aachener Eurogress gab es speziell für das internationale Fachpublikum eine digitale Übertragung weiter Teile des Veranstaltungsprogramms, ergänzt durch weitere exklusive Programmpunkte und Networking-Formate.