Das Advanced Manufacturing Center (AMC) im niederländischen Twente ist eine gemeinsame Initiative der Universität Twente und dem Fraunhofer IPT. Im AMC arbeiten Expertinnen und Experten aus Forschung und Industrie gemeinsam daran, konkrete Herausforderungen der Unternehmenspartner bei der Implementierung von Digitalisierungslösungen zu bewältigen. Das Dienstleistungsangebot umfasst verschiedene Technologie-Benchmarkings, Machbarkeitsstudien, Technologietests und kundenspezifische Projekte. Es werden Prototypen gefertigt und Produktionskonzepte für Unternehmen entwickelt. Und da alle Aktivitäten unter einem Dach in einem realen Produktionsumfeld stattfinden, entstehen im ACM binnen kurzer Zeit industrietaugliche Ergebnisse.
In den Räumen des AMC schaffen die Projektpartner eine technische und organisatorische Umgebung, in der produzierende Unternehmen im Osten der Niederlande die neuesten Technologien im Bereich der industriellen Digitalisierung ausprobieren können. »Erst testen, dann ivestieren« lautet hier die Devise. Die Partner aus der Wissenschaft unterstützen die Unternehmen mit neuen Produktionskonzepten und digitalen Werkzeugen, um die notwendigen Schritte für eine erfolgreiche digitale Transformation zu gehen.
Zur technischen Infrastruktur des AMC gehören moderne Kommunikations- und Datenverarbeitungsmethoden wie beispielsweise ein 5G-Netz sowie eine digitalisierte Logistik, etwa in Form von Autonomous Guided Vehicles (AGVs). Mittels Sensorik und Software-Tools werden Energie- und Materialverbrauchsdaten während der Fertigung systematisch erfasst und analysiert. Auf Basis der Daten lassen sich Fertigungsprozesse besser steuern, die Bauteilqualität deutlich steigern und Ausschuss reduzieren.
Bei der Produktionsumgebung im AMC handelt es sich um eine sogenannte Matrix-Produktion. Matrix-Produktionssysteme bestehen aus autarken, frei anfahrbaren und logistisch individuell einsetzbaren Prozessmodulen. Diese Prozessmodule umfassen spezialisierte Technologiestationen, Montagezellen und Prüfstationen. Jedes Prozessmodul ist so konzipiert, dass es einen kompletten Fertigungsschritt ausführen kann.
Die Matrix-Produktion ist im Vergleich zur klassischen seriellen Produktion deutlich flexibler und kann rascher an veränderte Marktbedürfnisse angepasst werden. So kann eine breitere Palette unterschiedlicher Produkte hergestellt werden; neue oder modifizierte Produkte lassen sich schnell in die aktuelle Produktpalette einführen. Die Matrix-Produktionsumgebung des AMC bietet demnach ein maximal flexibles Umfeld, um Digitalisierungslösungen und neue Verfahren zu entwickeln, erproben und skalieren.
Das Fraunhofer IPT bearbeitet zwei prototypische Anwendungsfälle.
Eine ressourcenschonende Methode zur Herstellung und Bearbeitung großer, komplexer Bauteile ist das Laser Powder Bed Fusion (LPBF). Dabei wird ein Pulverwerkstoff gleichmäßig auf eine Bauplatte aufgetragen und mit einem gerichteten Laserstrahl selektiv aufgeschmolzen. Die extrem dünne Schichtstärke ermöglicht eine hohe Detailsauflösung der Bauteile.
In diesem Teilprojekt integrieren Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer IPT eine automatisierte Prozesskette für die Additive Fertigung mittels LPBF in die Matrix-Produktionsumgebung in Twente. Die Prozesskette besteht aus einer LPBF-Anlage, einem fahrerlosen Transporter (Automated Guided Vehicle, AGV), einem Transportroboter sowie verschiedenen Stationen für die Nachbearbeitung und Qualitätskontrolle.
In mehreren Versuchsreihen testen die Forscherinnen und Forscher die Prozesskette anhand verschiedener komplexer Bauteile aus Titan. Nach der Fertigung in der LPBF-Anlage werden die Bauteile mittels Roboter oder AGV automatisch zur nächsten Station gemäß der definierten Prozesskette transportiert. Dort werden sie weiterbearbeitet oder untersucht. Je nach Bauteil variiert die Prozesskette; die Matrixproduktionsumgebung bietet für jede Prozessketten-Variante die benötigte Flexibilität.
Ein weiterer Anwendungsfall ist die Implementierung einer flexiblen Montagezelle in die Matrix-Produktionsumgebung. Prinzipiell ist die Montagezelle für die Montage verschiedenster Produkte geeignet, da die Module der Montagezelle je nach Anforderung individuell angeordnet werden können. Im Rahmen des Forschungsprojekts ist die Montage von Batteriemodulen als Demonstrationsfall vorgesehen.
Ziel des Teilprojekts ist es, die Montage für die Batteriemodule so auszulegen, dass sie möglichst flexibel und skalierbar ist. Die Forscherinnen und Forscher analysieren und optimieren dafür mithilfe einer Simulationssoftware verschiedene Montagekonzepte, indem sie dreidimensionale Simulationen des Materialflusses innerhalb der Montagezelle erstellen. So wird beispielsweise visualisiert, wie der Montagestatus der in der Zelle befindlichen Batteriemodule ist, und welche Bearbeitungsschritte sie mit welchem Zeitaufwand noch durchlaufen müssen. Mithilfe der Simulation werden potenzielle »Bottlenecks« identifiziert und analysiert, und die Prozesse können entsprechend angepasst werden.
In realen Montageprozessen werden anschließend die Prozesszeiten erfasst und als Feedback an die Simulation zurückgeführt. Wenn künftig Prozessketten umgestellt werden müssen, erlauben diese Daten noch genauere Vorhersagen der zu erwarteten Durchlaufzeiten. Zeitaufwändige Trial & Error-Versuche werden künftig vermieden.
Das Projekt » AMC Ecosystem – Ecosystem for the Digitisation of the Manufacturing Industry in East‐Netherlands« wird finanziert von der Europäischen Union im Rahmen des Förderprogramms REACT-EU (Recovery Assistance for Cohesion and the Territories of Europe).
Förderkennzeichen: PROJ-01095