Glas ist ein unentbehrlicher Werkstoff für zahlreiche Komponenten in Elektronik, Halbleiterindustrie oder Sensorik, denn es ist leicht, kratzfest, temperaturbeständig und dabei sehr stabil. Für hochwertiges Kfz-Interieur wie Mittelkonsolen, Rückspiegel, Türelemente und Tachoeinheiten wird bevorzugt Dünnglas, nur weniger Millimeter dick, verwendet. Bei über 50 Prozent aller Dünnglasbauteile für die Automobilbranche werden die Glasoberflächen funktionalisiert, indem feinste Strukturen eingebracht werden. Die Funktionalisierungen sind vielfältig: Sie reichen von einer verbesserten, angenehmen Haptik über wasserabweisende bis hin zu reflexionsmindernden Oberflächeneigenschaften.
Für die Oberflächenstrukturierung von Dünnglas kommen derzeit vor allem zwei Verfahren zum Einsatz. Die in der industriellen Praxis gängigste Methode ist die chemische Strukturierung. Diese erzielt zwar gute Ergebnisse, jedoch werden extrem umweltschädliche Ätzmittel wie beispielsweise Flusssäure eingesetzt. Die zweite Methode ist die replikative Abformung, bei der die Strukturen unter sehr hohen Prozesstemperaturen mithilfe eines Formwerkzeugs in die Glasoberfläche eingebracht werden, während das Glas gleichzeitig in die Endform gebracht wird. Auch die replikative Abformung liefert sehr gute Ergebnisse, jedoch sind die Herstellungskosten sowie der Rohstoff- und Energieverbrauch deutlich zu hoch, um wirtschaftlich attraktiv und ökologisch nachhaltig zu sein. So ist beispielsweise der Verschleiß des Formwerkzeugs derart hoch ist, dass es in der Regel nach etwa jeder zehnten Abformung gegen ein neues ausgetauscht werden muss.
Ziel des Forschungsprojekts »EffF3D – Effiziente Funktionalisierung von 3D-geformten Dünngläsern« ist die Entwicklung einer energie- und ressourcenschonenden Prozesskette zur Massenfertigung von komplex geformten und funktionalisierten Dünngläsern. Das Konzept basiert auf zwei technologischen Säulen: die vorgelagerte Strukturierung der Glasrohlinge durch Laserstrukturierung und die anschließende nicht-isotherme Glasumformung.
Im Vergleich zu den gängigen Herstellungsrouten lassen sich mit der neuartigen Prozesskette Energieeinsatz und CO2-Ausstoß jeweils um über 60 Prozent reduzieren; auf den Einsatz von umweltschädlichen Chemikalien kann vollständig verzichtet werden. Auch zielt das Projektteam auf eine starke Reduktion der Produktionskosten ab: Rund 50% günstiger soll die neue Methode im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren sein.
Im ersten Projektabschnitt befasst sich das Projektteam mit der nachhaltigen und wirtschaftlichen Funktionalisierung der Dünnglasrohlinge mithilfe eines Lasers. Die vorgelagerte Laserstrahlstrukturierung verzichtet nicht nur komplett auf Chemikalien, sie verlängert, fundierten Berechnungen zufolge, auch die Standzeit des Umformwerkzeugs um etwa das Zehnfache. Das Ziel des Teams ist, die Rohlinge reproduzierbar mit Flächenraten bis zu 1500 cm2/min mit haptischen, hydrophoben und optischen Funktionen unterschiedlicher Größenskalierungen zu versehen.
Die Oberflächenstrukturierung mit herkömmlichen Lasersystemen ist zwar hochgenau, aber sie ist zu langsam für die Massenfertigung. Um die Zeit deutlich zu verkürzen, entwickelt das Team mit dem Projektpartner LPKF SolarQuipment GmbH ein neues Werkzeugsystem, bestehend aus einen Ultrakurzpulslaser mit Pulsdauern von weniger als 10 Pikosekunden sowie ultraschnelle Scansysteme, sogenannte Polygonscanner. Der Einsatz von Polygonscannern beschleunigt die Strukturierung massiv, allerdings lassen sich nur zweidimensionale Flächen bearbeiten. Aus diesem Grund werden die Strukturen bereits vor der Umformung in die glatte, zweidimensionale Oberfläche des Glasrohlings eingebracht.
Da die Strukturen während der Umformung verzerrt werden, erarbeitet der Projektpartner ModuleWorks ein digitales Modell zur Kompensation dieser Verzerrungen. Dazu implementiert das Projektteam eine FEM-Simulation zum Verhalten des Glases während der Umformung. Das Kompensationsmodell dient als Grundlage für die Bahnplanung der Laseranlage.
Im nächsten Schritt werden die strukturierten Glashalbzeuge beim Projektpartner Vitrum Technologies gemeinsam mit den Partnern FLABEG Automotive und Saint-Gobain Sekurit Deutschland unter Industriebedingungen mittels nicht-isothermer Umformung in die gewünschte Form gebracht. Das Ziel ist, eine Taktzeit von weniger als 100 Sekunden pro Glasbauteil bei Strukturverzerrungen von nur wenigen Mikrometern zu erreichen. Da noch niemals zuvor vorstrukturierte Bauteile auf diese Weise umgeformt wurden, gilt es in diesem Projektabschnitt unter anderem, die optimale Prozesstemperatur herauszufinden, um das Glas bestmöglich umzuformen, ohne dabei die Strukturen zu beschädigen.
Um möglichst viele Informationen über den Umformprozess zu erhalten und ihn so transparent wie möglich zu gestalten, nutzt das Team ausgewählte Sensorik zur Prozessdatenaufnahme. Die umgeformten Bauteile werden anschließend messtechnisch charakterisiert. Bei Abweichungen findet eine Optimierung der Strukturqualität mithilfe des Simulationsmodells sowie weiterer experimentelle Versuche statt.
Die gesamte Prozesskette wird schließlich am Fraunhofer IPT mithilfe ausführlicher Life Cycle Assessments anhand zahlreicher ökologischer Kriterien analysiert. Das Team vergleicht die errechneten Kennzahlen mit denen konventioneller Prozessketten; darüber hinaus werden auch die Herstellungskosten der neuen Prozesskette mit denen herkömmlicher Serienproduktionsketten abgeglichen.
Nach Abschluss des Projektes hat das Team eine prototypische Laseranlage und eine Erweiterung einer Dünnglas-Umformanlage zum Einsatz unter realitätsnahen Produktionsbedingungen entwickelt. In weiteren Forschungsvorhaben soll die Prozesskette adaptiert und für die Bearbeitung zahlreicher Anwendungen der Unterhaltungselektronik, Haushaltselektronik und Medizintechnik weiterentwickelt werden.
Das Forschungsprojekt »EffF3D – Effiziente Funktionalisierung von 3D-geformten Dünngläsern« wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) im Rahmen des 7. Energieforschungsprogramms der Bundesregierung gefördert.
Förderkennzeichen: 03EN4035A
Projektträger Jülich – Forschungszentrum Jülich GmbH
Jahr Year | Titel/Autor:in Title/Author | Publikationstyp Publication Type |
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2024 | Compensation of structure distortion in nonisothermalhot forming of laser structured thin glass Kohse, Martin; Meiners, Constantin; Plakhotnik, Denys; Vogel, Paul-Alexander; Day, Robin; Grunwald, Tim; Bergs, Thomas |
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