Optische Sichtprüfungen sind in vielen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) heute oft noch rein subjektive Aufgaben der Qualitätssicherung, die im Detail nicht reproduzierbar sind, da sie auf der Erfahrung der einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter basieren. Im FQS-geförderten Forschungsprojekt »KOMBI« entwickelte das Fraunhofer IPT unter Einsatz von Smart Devices und Machine-Learning-Algorithmen eine neue Form der Qualitätssicherung, die objektive Skalen für die Bewertung nutzt. Hierdurch wird die Reliabilität der Qualitätssicherung erhöht, Mitarbeiter werden entlastet und flexibel einsetzbar.
Das industrielle Umfeld ist stark geprägt durch die wachsenden Anforderungen an Flexibilität und Adaptivität: Bereits 41 Prozent aller Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus planen eine Fertigung von Produkten in der Stückzahl eins [1]. Durch die Variabilität der Produkte ändern sich häufig auch die Anforderungen an die Qualitätsmerkmale, sodass sich ihre Qualität nicht mehr ohne Weiteres reproduzierbar beurteilen lässt. Die zunehmende Individualisierung der Produkte erhöht die ohnehin schon hohe Anzahl an manuellen Sichtprüfungen noch weiter. Doch die Beurteilungen der Mitarbeiter erfolgen dabei stets subjektiv. Das hat zur Folge, dass die Zuverlässigkeit der Qualitätsbeurteilung von der Erfahrung des Mitarbeiters abhängt und geschulte Mitarbeiter Fehler zuverlässiger erkennen. Objektivität und Reliabilität der Messung sind damit nicht gegeben. Hinzu kommt, dass gerade KMU große Schwierigkeiten bei der Besetzung entsprechender Stellen in der Qualitätssicherung haben. Ihr Ziel ist es deshalb, Fachkräfte möglichst effizient in der Qualitätssicherung einzusetzen und – wenn möglich – auch ungelernte Mitarbeiter zu befähigen bestimmte Aufgaben dieser Art durchzuführen.
Ziel im Projekt »KOMBI« war die Objektivierung subjektiver Qualitätskriterien, um KMU in der Qualitätssicherung zu unterstützen. Dies wurde durch die Bereitstellung einer Werkerassistenz in Form von Smart Devices wie Tablets oder Smart Glasses erreicht. Die Werkerassistenz dient der objektiven Qualitätsbewertung und visualisiert dem Anwender die jeweils zu beurteilenden Klassifikationsmerkmale. Zusätzlich dienen die gesammelten Daten aus den durchgeführten Qualitätsbewertungen dazu, die Sichtprüfung zu automatisieren. Aufbauend auf der Werkerassistenz kommen dafür Deep-Learning-Algorithmen zum Einsatz.
Durch die Ergebnisse aus dem Projekt »KOMBI« lassen sich zukünftig Fehlentscheidungen aufgrund subjektiver Einflüsse bereits am Ort der Entstehung vermeiden und die Qualität des Prüfprozesses verbessern. So kann die Reliabilität der Prüfung, die als zentrale Anforderung an eine Messmethode gestellt wird, gesichert werden. Ungelernte Kräfte werden befähigt, manuelle Sichtprüfungen durchzuführen, sodass der Fachkräftemangel sich weniger stark auswirkt. Der Einsatz neuer Technologien und die effiziente Nutzung der Daten und Informationen ermöglicht eine kostengünstige Automatisierung der Qualitätssicherung.
Für die manuelle Sichtprüfung definieren Experten ihre subjektive Einschätzung anhand von Messskalen. Diese werden in ein objektives Qualitätskonzept überführt. Auf der Basis dieses Konzepts wird eine Entscheidungslogik aufgebaut, die subjektive Einschätzungen des Mitarbeiters in eine objektive Beurteilung des Qualitätsmerkmals übersetzt. Die Entscheidungslogik bietet den Mitarbeitern in der Sichtprüfung dabei eine Auswahl an, anhand derer diese beurteilen, ob ein vorliegendes Bauteil einem Referenzbild der Messskala ähnelt. Dieser »paarweise Vergleich« wird so lange wiederholt, bis die Bauteilqualität erfolgreich klassifiziert wurde.
Aufbauend auf den Ergebnissen dieser Objektivierung wird die Entscheidungslogik in einer Anwendung für Smart Devices umgesetzt, um sie dem Mitarbeiter ortsunabhängig zur Verfügung zu stellen. Indem die Anwendung von Beginn an in den Arbeitsablauf der Mitarbeiter eingebunden wird, lässt sich die Bauteilqualität während der manuellen Sichtprüfung laufend bewerten. Mit einer Kamera, die im Smart Device integriert und auf das Bauteil ausgerichtet ist, werden Bilddaten aufgenommen und der Mitarbeiter kann auf diese Weise das Bauteil klassifizieren.
Sowohl die Bilddaten als auch die Klassifikationen anhand der Messskalen dienen als Grundlage für ein Deep-Learning-Modell. Ein Supervised-Learning-Algorithmus erkennt Muster und Zusammenhänge in den aufgenommenen Trainingsdaten. Die entstehenden Modelle können dann nach dem trainieren die Bauteile automatisiert klassifizieren.²
1Goschy, W. und Rohrbach, T. (2017). Deutscher Industrie 4.0 Index 2017. STAUFEN.AG (Hrsg.).
²Mende, Hendrik; Peters, Alexander; Ibrahim, Faruk; Schmitt, Robert H. (2022). Integrating deep learning and rule-based systems into a smart devices decision support system for visual inspection in production. In: Procedia CIRP 109, S. 305–310.
Das Fraunhofer IPT ist die ausführende Forschungsstelle im Projekt »KOMBI«. Folgende Unternehmen sind Teil des projektbegleitenden Ausschusses:
Das IGF-Vorhaben "KOMBI - Nutzbarmachung subjektiver Qualitätskriterien durch Kombination von Smart Devices und Machine Learning (IGF 21181N)" der Forschungsvereinigung FQS Forschungsgemeinschaft Qualität e. V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.