Der robuste Akkuschrauber, die ergonomisch geformte Zahnbürste oder die edel anmutende Zierblende im Automobil – all diese Gegenstände bestehen überwiegend aus Kunststoff. Der Großteil solcher Kunststoffprodukte und -komponenten wird im Spritzgießverfahren hergestellt, welches insbesondere bei hohen Stückzahlen eines der wirtschaftlichsten Verfahren zur Kunststoffverarbeitung ist.
Bei diesem Verfahren kommen Spritzgießformen zum Einsatz, die während des Spritzgießens geschlossen und unter hohem Druck mit heißem, flüssigem Kunststoff gefüllt werden.
Dabei muss die in der Form eingeschlossene Luft durch den eingespritzten Kunststoff verdrängt und aus der Form gedrückt werden. Kann die Luft nicht schnell genug entweichen, wird sie komprimiert und erwärmt sich sehr stark. Die Folgen davon sind nicht vollständig ausgeformte Kunststoffteile, fehlerhafte Oberflächen, ungenügende Haftungsqualität beim 2k-Verbund bis hin zu Verbrennungen des Kunststoffs, die durch den sogenannten »Dieseleffekt« hervorgerufen werden.
Es gibt unterschiedliche Methoden zur Formentlüftung. Die Entlüftung in der Trennebene der Werkzeugform über entsprechende Funktionsflächen zu realisieren, ist dabei eine häufig verwendete Lösung.
Heutzutage können kritische Formnestbereiche, in denen es zu Luftstauung beim Füllvorgang kommen wird, mithilfe von Füllsimulationen bereits während der Konstruktionsphase eines Werkzeugs frühzeitig identifiziert werden. Bisher gab es jedoch weder wissensbasierte Gestaltungsregeln, die eine solche Entlüftung in Dimension und Form beschreiben, noch eine Hilfestellung durch eine entsprechende Simulations- oder Konstruktionssoftware, um die Entlüftung anwendungsgerecht auszulegen. Anwendungsgerecht bedeutet in diesem Zusammenhang die Entlüftung in Abhängigkeit der realen Prozessparameter wie beispielsweise Fülldruck, Werkzeugtemperatur und letztendlich des eingesetzten Kunststoffs mit seinen spezifischen Stoffeigenschaften so zu dimensionieren, dass eine ausreichende Entlüftung gewährleistet wird, ohne dass der Kunststoff mit der Luft ausströmen kann.
Aufgrund des Wissensdefizits erfolgt das Einbringen der finalen Entlüftungen in der Regel erst nach Fertigstellung des Werkzeugs während dessen Erstbemusterung. Die Entlüftungen werden dabei oftmals in einem manuellen Bearbeitungsschritt in die Trennebene der Werkzeugform eingebracht. Ein wesentlicher Nachteil bei diesem Vorgehen ist das undefinierte und nicht reproduzierbare Einbringen der Entlüftung in die Werkzeugform. Dadurch kommt es häufiger vor, dass der flüssige Kunststoff über die so realisierte Entlüftungsfläche in der Trennfläche austritt und das Werkzeug unnötigerweise, d.h. ohne im Produktionseinsatz gewesen zu sein, aufwendig repariert, überarbeitet und erneut bemustert werden muss.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung bewilligte Ende 2013 daher das Verbundprojekt »VentOpt« (Förderkennzeichen 02PK2371), in dem die Firmen Simcon kunststofftechnische Software GmbH, FKT Formenbau und Kunststofftechnik GmbH, Komos GmbH und das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT ein innovative Lösung entwickelten, die eine effektive und wissensbasierte Entlüftung der Formen ermöglicht.
Mithilfe einer neuartigen und intelligenten Simulationssoftware gelang es, die Entlüftung mithilfe funktionaler Mikrostrukturen für das Spritzgießen bereits in der Konstruktionsphase der Formen anwendungsgerecht auszulegen. Bisher konnte mithilfe existierender Softwarelösungen nur der Füllvorgang abgebildet werden. Die Herausforderung bestand insbesondere darin, die Funktionsweise der Mikrostruktur im Detail zu verstehen, um die Abhängigkeiten zwischen der Mikrostruktur und dem Prozess in einer Simulationssoftware abbilden zu können. Letzteres wiederum machte es möglich, die erforderliche Entlüftung anhand typischer Eingangsdaten wie z.B. Kunststofftyp und den Spritzgießparametern zu berechnen und eine geeignete Mikrostruktur bereits in der Konstruktionsphase auszuwählen. Diese Informationen wurden zudem in eine Wissensdatenbank gespeichert, sodass die Simulationssoftware stets auf diese Informationen zugreifen konnte. Um solche Mikrostrukturen zur Entlüftung reproduzierbar und flexibel in reale Spritzgießformen einzubringen, wurde hierzu insbesondere der Laser als Werkzeug eingesetzt.
Durch eine effektive und anwendungsgerechte Formentlüftung wird bei der Herstellung von Kunststoffteilen nicht nur Ausschuss und Nacharbeit reduziert. Ebenso können dadurch Fertigungszeiten, Materialmengen und Energieaufwände spürbar verringert und somit Ressourcen eingespart werden. Zusätzlich führen nahezu gratfreie Bauteile zu wesentlich besseren Oberflächen- und Bauteilqualitäten. Insgesamt kann der deutsche Werkzeug- und Formenbau von dem innovativen Technologieansatz profitieren.
Projektkoordination
Dr. Paul F. Filz
Simcon kunststofftechnische Software GmbH
Schumanstr. 18 a
52146 Würselen
Telefon +49 2405 645710
pfilz@simcon-worldwide.com
Projektbetreuung
Projektträger Karlsruhe (PTKA-PFT)
Dr.-Ing. Michael Große
Telefon +49 721 608 25192
michael.grosse@kit.edu
Ansprechpartner Fraunhofer IPT
Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT
Dipl.-Ing. Kai Winands
Steinbachstr. 17
52074 Aachen
Telefon +49 241 8904 421
kai.winands@ipt.fraunhofer.de